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Bedrängt, betatscht, missbraucht: Frauen in Asylunterkünften werden vermehrt Opfer sexueller Gewalt. Behörden und Beratungsstellen ringen nun um Lösungen. Gibt es bald Unterkünfte nur für Frauen?

Irgendwann ertrug es die junge Frau aus Afghanistan einfach nicht mehr: die eindeutigen Gesten der Männer, das Hinterherpfeifen und Zungeschnalzen, wenn sie in der alten Schalterhalle der Erstaufnahme in der Harburger Poststraße umherlief. Fast 600 Menschen leben dort, nur 87 davon sind Frauen, dazu kommen 34 minderjährige Mädchen. Sie blieb immer öfter für sich, ging kaum noch vor die Tür. Eines Tages bedrängte sie einer der Männer und begrapschte sie, die 20-Jährige fühlte sich ausgeliefert.

Wie Frauen in Flüchtlingslagern zu Freiwild werden

Bedrängt, betatscht, missbraucht: Frauen in Asylunterkünften werden vermehrt Opfer sexueller Gewalt. Behörden und Beratungsstellen ringen nun um Lösungen. Gibt es bald Unterkünfte nur für Frauen?

Irgendwann ertrug es die junge Frau aus Afghanistan einfach nicht mehr: die eindeutigen Gesten der Männer, das Hinterherpfeifen und Zungeschnalzen, wenn sie in der alten Schalterhalle der Erstaufnahme in der Harburger Poststraße umherlief. Fast 600 Menschen leben dort, nur 87 davon sind Frauen, dazu kommen 34 minderjährige Mädchen. Sie blieb immer öfter für sich, ging kaum noch vor die Tür. Eines Tages bedrängte sie einer der Männer und begrapschte sie, die 20-Jährige fühlte sich ausgeliefert.

In Fällen wie diesen klingelt das Telefon von Angelika Damm, Mitarbeiterin im zweiten Hamburger Frauenhaus. Sie und ihre sechs Kolleginnen sind die letzte Chance für Frauen, die sich in den Containerdörfern nicht mehr sicher fühlen. Damm erzählt viele Geschichten wie die der jungen Afghanin: von Frauen, die sich in den Zeltstädten wie Freiwild fühlen; von Geflüchteten, deren Ehemänner sie misshandeln und vergewaltigen. Die Betroffenen werden mehr, sagt Damm, vor allem in den letzten Wochen. Die junge Afghanin ist nun eine von sieben Flüchtlingsfrauen im Frauenhaus, das irgendwo in Hamburg an einem geheimen Ort liegt.

Kann man Frauen unter diesen Extrembedingungen schützen?

Es sind nicht die einzigen Fälle: Elf Frauen mit 13 Kindern aus Flüchtlingseinrichtungen suchten im ersten Halbjahr 2015 in einem der fünf Hamburger Frauenhäuser Schutz, neun Fälle sexueller Gewalt registrierten die Behörden – das ergab eine Anfrage der FDP von Mitte September. Die Zahlen dürften weiter gestiegen sein, allein Frau Damm hat seitdem zwei neue Fälle aufgenommen. Auch die Dunkelziffer liegt wie immer bei sexueller Gewalt deutlich höher, das sagen alle Stellen. Bei der Kriminalpolizei heißt es: Es sei sehr schwer, eine geflüchtete Frau dazu zu bringen, gegenüber der Polizei eine Aussage zu machen, oft bestünden kulturelle Hemmnisse oder die Angst, ein Übergriff könnte sich negativ auf den Asylantrag auswirken. Und doch werden in diesen Tagen immer wieder Übergriffe bekannt, aus der Schnackenburgallee, dem Schwarzenberg in Harburg und der Sportallee in Fuhlsbüttel.

Ein früherer Angestellter aus der Harburger Poststraße beschreibt es so: „Vielen Frauen geht es in den Unterkünften so wie einer Studentin, die einen Besuch in einem Männerknast macht.“ Auch seine Kolleginnen ständen teilweise Männern gegenüber, die eindeutige Gesten machten und verbal übergriffig würden. Gewalt, auch sexuelle, gegen flüchtende Frauen, das Thema wird in diesen Tagen in Hamburg drängender – und könnte sich weiter zuspitzen.

Im September suchten 10.100 Menschen in Hamburg Schutz, die Innenbehörde bringt nun Flüchtlingeimmer öfter in leidlich sauberen Baumärktenwie in Eidelstedt unter. Die Flüchtlinge waren dort über das vergangene Wochenende sich selbst überlassen, es dauerte Tage, um überhaupt den Betreiber der Notunterkunft zu bestimmen. Privatsphäre, dieses Wort existiert in der aktuellen Lage kaum noch. Kann man allein reisende Frauen unter diesen extremen Umständen überhaupt ausreichend schützen?

Getrennte Unterkünfte für allein reisende Frauen

Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte forscht zu geschlechtsspezifischer Gewalt. Doch einen speziellen Zusammenhang zwischen Flüchtlingsunterkünften, der Herkunft der Menschen und dem Gewaltpotenzial erkennt sie nicht: „Was dort passiert, geschieht auch deutschen Frauen außerhalb der Unterkünfte.“ Allerdings sieht Rabe einige Risikofaktoren, die Flüchtlingsunterkünfte problematisch machen können. So seien die Opfer nach ihrer Flucht häufig sozial isoliert. Fehlende Privatsphäre, die räumliche Enge unter fremden Menschen und ein tolerierendes Umfeld würden die Gefahr eines Übergriffs weiter erhöhen. Rabe findet: „Eine Hausordnung reicht da nicht. Es muss ein klares Gewaltschutzkonzept und eine Sensibilisierung des Personals für das Thema geben, damit Heimleitung, Wachschutz und Sozialdienst wissen, was in solchen Fällen zu tun ist.“

DieProblematik ist den Behörden bekannt, „in den letzten Wochen und Monaten sind uns über unser Hilfesystem mehr Fälle von Frauen in Flüchtlingsunterkünften bekannt geworden, die das System in Anspruch genommen haben“, formuliert es Isabel Said, Referatsleiterin für Opferschutz in der Sozialbehörde. Die Mitarbeiter sind angehalten, besonders auf allein reisende Frauen zu achten, und geschult, Übergriffe zu erkennen. Frauen und Männer sollen nicht unter einem Dach untergebracht werden, eigentlich. Es liegen Listen mit Nummern der Beratungsstellen und Frauenhäuser aus, nun will die Sozialbehörde vermehrt Informationshefte auf Arabisch verteilen. Diese Angebote gingen allerdings oft im „Zettelurwald“ unter, mit dem sich Flüchtlinge ohnehin konfrontiert sehen, sagt Expertin Rabe. „Wir müssen uns überlegen, wie ein besserer Zugang zu geflüchteten Frauen gefunden werden kann.“ Den sucht auch Isabel Said von der Sozialbehörde. Sie sagt aber auch: „Das Hilfesystem aus Frauenhäusern und Beratungsstellen steht jeder geflüchteten Frau offen.“

Ob das reicht? Viele fordern längst spezielle Bereiche für Frauen in den bestehenden Containerdörfern oder sogar eigene Standorte. „Grundsätzlich muss bei Gewalt gegen Frauen sofort reagiert werden und eine unmittelbare Trennung von Täter und Opfer erfolgen. Hier sind Frauenschutzräume dringend notwendig“, sagt Rabe. „Wir brauchen getrennte Unterkünfte für allein reisende Frauen“, sagt auch Mareike Engels, frauenpolitische Sprecherin der Hamburger Grünen. Und die Behörden bewegen sich. Zuerst wurden in der Großunterkunft an der Schnackenburgallee vier Schutzzelte nur für Frauen aufgestellt. Die vier sogenannten Domo-Zelte seien auf eine private Initiative hin mit Spendengeldern gekauft worden, heißt es beim Betreiber Fördern&Wohnen. Sie sollen Flüchtlingsfrauen in der Zentralen Erstaufnahme in der Nähe des HSV-Stadions zum Beispiel Gelegenheit bieten, unbeobachtet von Männern ihr Kopftuch abzulegen oder ihre Babys zu stillen.

Was passiert nach einem Übergriff mit den Flüchtlingsfrauen?

Gegen Standorte, die ausschließlich für Frauen gedacht sind, gab es im Senat lange Widerstände. Innen- und Sozialbehörde halten eigentlich nichts von spezialisierten Unterkünften, sei es nach Nationalitäten oder Geschlechtern getrennt. Die Flüchtlinge sollten in der Erstaufnahme angehalten sein, die geltenden Regeln zu befolgen, die Schaffung von separaten Standorten, so die Sorge, könnte auch wie eine Kapitulation des Staats wirken. Noch Anfang Oktober hieß es in einer Antwort des Senats auf eine Anfrage der Linken: „Reine Fraueneinrichtungen oder solche für weibliche Flüchtlinge sind nicht in Planung.“ Doch nun bewegt sich der Senat, wohl unter dem Eindruck der zunehmend öffentlich werdenden Übergriffe. Die Innenbehörde plant spezielle Unterkünfte für Frauen, wohl schon in der kommenden Woche sollen kleine Standorte mit Plätzen speziell für allein reisende Frauen, auch mit Kindern, geschaffen werden.

Doch eine weitere Frage ist noch nicht abschließend geklärt. Was passiert nach einem Übergriff mit den Flüchtlingsfrauen? Auch für die Hilfsvereine in Hamburg ist der Bereich neu. Im Hamburger Beratungszentrum von Pro Familia heißt es, diese Fälle seien „bisher noch kein Thema“, ebenso bei der Opfer-Organisation Weißer Ring. Die „Landschaft für Opferhilfe bei Flüchtlingen“ finde sich gerade erst, heißt es bei den Beratungsstellen.

Frau Damm betreut schon seit Jahren Flüchtlinge, doch die neue Situation stellt auch sie vor Herausforderungen. Bisher bleiben die 1355 Frauen, die 2014 in den Schutzräumen lebten, nur wenige Monate, dann wechseln sie in eigene Wohnungen. Bei geflüchteten Frauen, die aus den Erstaufnahmen kommen und Schutz suchen, ist der Aufenthaltsstatus oft nicht geklärt, zudem haben es Flüchtlinge schwer auf dem Wohnungsmarkt. So könnten die Frauenhäuser, eigentlich vorübergehende Unterkünfte, auch bald an ihre Grenzen stoßen.

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